Dissertationen und Projekte |
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Kritische Hofmannsthal Ausgabe |
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XVII Dramen 15 XXVII Ballette - Pantomimen -
Filmszenarien |
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Briefwechsel |
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Briefwechsel Hofmannsthals mit seinen Eltern Briefwechsel Hofmannsthals mit Robert Michel |
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Dissertationen |
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Untersuchungen
zur Poetik von Hugo von Hofmannsthals „philosophischer Novelle“ Ein Brief Vor nunmehr einhundert Jahren, am 18. und 19.
Oktober 1902, veröffentlichte Hugo von Hofmannsthal in der Berliner Zeitung
‚Der Tag’ einen kleinen, gerade einmal zehn Seiten umfassenden Prosatext
unter dem Titel Ein Brief. Dieser Text, nach dem Namen des
Protagonisten auch bekannt als „Chandos-Brief“, hat seit seiner Publikation
nicht aufgehört, seine Leser zu faszinieren und – mehr noch – ist zu einem,
ja vielleicht zu dem zentralen Dokument der Wiener Moderne und der
„Sprachkrise“ der Jahrhundertwende avanciert. Das bekannte Paradox, in das
Lord Chandos verstrickt erscheint, wenn er – äußerst eloquent und ausführlich
– in seinem Schreiben davon berichtet, ihm sei völlig die Fähigkeit abhanden
gekommen, „über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen“, hat
die Aufmerksamkeit stets weit mehr auf das Moment der Krise als auf die
sprachliche Form gelenkt, in welcher sie Ausdruck findet. Die jüngere
Forschung machte zunehmend deutlich, daß es Hofmannsthal nicht um eine
generelle Kritik geht, sondern um eine an der Wissenschaftssprache. Hieran
anknüpfend versucht die Dissertation einen Neuansatz und stellt – um in der
Metaphorik zu bleiben – vor die Diagnose zunächst die Beschreibung der
Symptome, d. h. die Beschreibung der Sprache, in der die Krise artikuliert
wird. Zu diesem Zweck werden – in synchroner Perspektive – der historische
Rahmen untersucht, in den Hofmannsthal den Brief stellt (das
Renaissance-England des beginnenden 17. Jahrhunderts), sowie – in diachroner
Perspektive – die Beziehungen herausgearbeitet, die der Text zur Antike
unterhält. Das genannte Paradox erscheint dabei als Ergebnis eines Konflikts
zweier verschiedener Sichtweisen auf die Sprache, die sich mit der Opposition
von “Bild” versus „Begriff“ umreißen lassen. Zum geschichtlichen Hintergrund von Ein
Brief gehört im engeren Sinn sein Adressat Francis Bacon, der
bedeutendste Philosoph der Zeit und Begründer der neuzeitlichen
Naturwissenschaften. Hofmannsthals historische Projektion läßt sich zunächst
als ein Versuch verstehen, die Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert mit der
vom 19. zum 20. Jahrhundert in Beziehung zu setzen und damit die Kontinuität
eines Bestands an Fragelasten zu suggerieren, der die europäische Geschichte
seit der Renaissance begleitet. Als Hofmannsthal Lord Chandos im August 1603
seinen Brief an Francis Bacon schreiben läßt, ist nicht nur Königin Elisabeth
I., unter deren Regentschaft England zu seiner ersten großen Blüte gelangte,
gerade erst vor wenigen Monaten gestorben. Die andere große Herrscherin des
britischen Weltreichs, Queen Victoria, die dem Empire seine nächste Blütezeit
bescherte, starb im Jahr 1901 und damit kurz vor der Veröffentlichung von Ein
Brief, zu einer Zeit also, da Bacons Ideen erneut Konjunktur hatten – sei
es in den Angriffen Justus Liebigs, der Bewunderung Emil Dubois Reymonds, der
Nachahmung in Kurd Lasswitz‘ Roman Apoikis (in Anlehnung an Bacons
Utopie New Atlantis) oder einfach als Ausdruck eines unbändigen Fortschrittsvertrauens
etwa bei Gerhart Hauptmann, der als bestimmendes Merkmal der Generation
seiner Jugendzeit den Glauben „an den Sieg der Naturwissenschaft und damit
die letzte Entschleierung der Natur“ nennt. Auch Fritz Mauthners ab 1901
erschienene Beiträge zu einer Kritik der Sprache, mit denen
Hofmannsthal wohlvertraut war, wiederholen (wenn auch nicht unter
ausdrücklicher Berufung auf ihn) Positionen Bacons. Sir Francis Bacon Bacon will die Sprache, wie er sagt, von den Verunreinigungen
der Geschichte „säubern“, um so dem Menschen die Gewalt über die Natur
zurückzugewinnen, die er einstmals im Paradies als Namengeber aller Wesen und
Dinge besaß. Den Weg zu diesem Ziel skizzieren gleich die ersten Aphorismen
seines Hauptwerks, des Novum Organum. Um die Natur zu beherrschen, muß
man sie erkennen. Man erkennt sie, indem man sich ihr unterwirft. Unterwerfen
bedeutet, die Sinne und den Geist von allen Irrtümern zu reinigen, die der
Natur des Menschen selbst inhärieren und die der Umgang der Menschen
untereinander mit sich bringt. Selbsterkenntnis ist daher die Bedingung von
Welterkenntnis und Naturbeherrschung; sie beruht auf der Einsicht in die
Mangelhaftigkeit der Sinne und des Verstandes, die deren Angleichung an die
Natur und damit wahre Erkenntnis unterbinden. Vornehmlich in der
„Idolenlehre“, den im engeren Sinn „sprachkritisch“ zu nennenden Teilen des Novum
Organum, unternimmt es Bacon, für diese von ihm immer wieder in Bildern
der „Krankheit“ beschriebene Fehlerhaftigkeit „Heilmittel“ bereitzustellen.
Naturbeherrschung und Ich-Ergründung treten in seinen Werken in eine
Konstellation wechselseitiger Bedingtheit, wie sie vergleichbar in
Hofmannsthals Epoche wiederkehrt. „Das 19. Jahrhundert“, so Peter Gay, „hat
sich mit Leidenschaft, fast bis zur Neurose, ins Selbst vertieft. Gerade in
jenen Jahrzehnten, in denen die Bürger den bis dahin beharrlichsten Versuch
unternahmen, sich der Welt zu bemächtigen, haben sie der Selbstbeobachtung
viel lust- und vielleicht noch mehr angsterfüllte Zeit gewidmet.“ Die
wiederholte Selbstbefragung, die Chandos zu Beginn seines Schreibens
unternimmt, das gescheiterte Projekt einer Enzyklopädie mit dem Titel „Nosce
te ipsum“ sowie seine „Krankheit des Geistes“ deuten alle in die Richtung von
Bacons Ausführungen zur Sprache. Was es bedeutet, die Sprache von den
Verkrustungen der Geschichte zu reinigen und sie zum Werkzeug eines gesunden
Verstands zu machen, zeigt Bacon beispielhaft an den Mythenallegoresen seiner
Schrift De Sapientia Veterum. Die dunklen und unverständlichen Fabeln
der Antike sind ihm Ausfluß einer mangelhaft entwickelten Befähigung zur
Reflexion. Ihre Weisheit, so sagt er, das, was sie eigentlich sagen wollen,
sei wie unter einem „Schleier von Fabeln“ verborgen. Seiner Ansicht nach
bedienten die Menschen früherer Zeiten sich ihrer, weil ihnen eine abstrakte
Begrifflichkeit zur eindeutigen Formulierung der Sachverhalte, die nach
Ausdruck verlangten, noch nicht zu Gebote stand: „So wie Hieroglyphen älter
sind als Buchstaben, ebenso sind Parabeln älter als Argumente.“ Die bildhafte
Form der ägyptischen Schriftzeichen steht für ihn in der Entwicklung des
Denkens vor der logischen des Begriffs. Diese Ansicht klingt in den Worten
des Lord Chandos an, der die „mythischen Erzählungen“ als „die Hieroglyphen
einer geheimen, unerschöpflichen Weisheit“ aufschließen wollte, die „wie
hinter einem Schleier“ verborgen liegen. Bacons auf Aristoteles zurückgehende
Überzeugung, wonach die geistigen Kapazitäten der Menschheit erst allmählich
und akkumulativ zu ihrer vollen Entwicklung gelangt sind und die
Bildhaftigkeit von Dichtung als einer früheren Stufe zugehörig das Potential
des Verstandes unterschreitet, hat nach ihrer Aufnahme durch Kant in der Anthropologie
in pragmatischer Hinsicht eine breite Rezeption gefunden (beipflichtend
wie distanzierend), so bei Jean Paul, Hamann, Herder und Schiller.
Widersprochen hat beispielsweise Friedrich Hebbel; im Jahr 1841 notiert er im
Tagebuch: „Jede Geisteskraft ist in bezug auf die übrigen beschränkend, aber
nichts ist dies mehr, als der Verstand. Laut lachen mußte ich, als ich eben
in Kants Anthropologie folgendes las: ‚Die alten Gesänge haben vom Homer an,
bis Ossian, oder von einem Orpheus bis zu den Propheten, das Glänzende ihres
Vortrags bloß dem Mangel an Mitteln, ihre Begriffe auszudrücken, zu
verdanken.‘“ Hofmannsthal nahm diese Notiz in einem Anfang des Jahres 1902
gehaltenen Vortrag zustimmend auf und fand schließlich die von Hebbel
inkriminierte Ansicht einige Monate später während der Arbeit an Ein Brief
bei der Lektüre von Bacons Schriften wieder. Wie Hebbel lehnt er die
aufklärerischem Entwicklungsdenken verpflichtete Prämisse der Dikta Bacons
und Kants ab, die Menschheit müsse aus früherem Dunkel ins Licht der
Verstandesklarheit geführt werden und Dichtung als Status einer
vorbegrifflichen Zeit sei lediglich Ausfluß der Unfähigkeit zu
philosophischer Terminologie im Sinne exakter Definitionen. Die Rezeption des Chandos-Briefs traf vom
ersten Leser an auf ein Miß- und Unverständnis gegenüber „Fabeln“ und
„Geschichte“. Sie blieb damit wesentlich Prämissen verhaftet, die den von
Bacon in seiner Philosophie entwickelten ähneln, die als
Wissenschaftsphilosophie den geschichtlichen und metaphorischen Charakter und
den damit gegebenen Verweisungsreichtum von Sprache, dem Hofmannsthals
Interesse gilt, zugunsten einer abstrakten Begrifflichkeit auszuscheiden
trachtet. Nachdem Hofmannsthal ein Exemplar des eben fertiggestellten Texts
an Leopold von Andrian geschickt hatte, bemerkt dieser in seinem Antwortschreiben,
„daß die dichterische Einkleidung, das Versetzen in die Englische
Vergangenheit, mich nicht angenehm berührte“; demgegenüber fordert er von
Hofmannsthal, „die Absicht, Dein Substrat“ herauszustellen und fügt hinzu,
daß ihm „ein schlichter Bericht das passendste und auch wirkungsvollste
gewesen“ wäre. Die Bildhaftigkeit erscheint als etwas bloß Akzidentelles,
Ornamentales, das es abzustreifen gilt, um dahinter das „Eigentliche“ zu
finden. Andrian zeichnet damit eine Meinung vor, die für die Rezeptionshaltung
gegenüber Ein Brief lange Zeit bestimmend bleiben sollte. Gegen den
Wunsch, er hätte seine „Reflexionen (...) direkt vorbringen sollen“, erwidert
Hofmannsthal, er sei „wirklich vom entgegengesetzten Punkt“ ausgegangen.
Zwänge man ihn, „diesen Gehalt direkt zu geben, so ginge für mich
aller Anreiz zu dieser Arbeit verloren.“ Hier schließlich wird der Faden zur
Antike geknüpft: „Ich blätterte im August öfter in den Essays von Bacon, fand
die Intimität dieser Epoche reizvoll, träumte mich in die Art und Weise
hinein, wie diese Leute des XVI. Jahrhunderts die Antike empfanden,
bekam Lust, etwas in diesem Sprechton zu machen und der Gehalt, den
ich, um nicht kalt zu wirken, einem eigenen inneren Erlebnis, einer
lebendigen Erfahrung entlehnen mußte, kam dazu. (...) der starke Reiz
für mich ist, vergangene Zeiten nicht ganz tot sein zu lassen, oder Fernes,
Fremdes als nah verwandt spüren zu machen.“ Ausgehend von dieser Bemerkung sowie dem zuvor
skizzierten problemgeschichtlichen Hintergrund von Bacons Philosophie
arbeitet die Dissertation unter wechselnden Perspektiven die zahlreichen
Beziehungen heraus, die Ein Brief – gegen den Augenschein des ersten
Lektüreeindrucks, der lediglich einige eher beiläufig eingestreute Namen gibt
– zur Antike unterhält. „Diese Leute des 16. Jahrhunderts“: das meint
zunächst Bacon, der die Antike bekämpft, weil er in ihr nur abgelebte „Idole“
findet, und andererseits Chandos, der als (ehemaliger) Schüler des
Philosophen in der Krankheit eine Bindung an die Endlichkeit des Daseins und
damit ein Gespür für Vergangenheit und Vergänglichkeit erkennen läßt, die
Bacon auf dem Weg zur Errichtung eines irdischen Paradieses überwinden will.
Die zahlreichen Intertexte zur Literatur nicht nur der griechischen und
römischen Vergangenheit, die die Dissertation vielfach erstmals nachweist,
werden in ihrer Funktion für das Verständnis von Ein Brief
erschlossen, indem sie als programmatische Umsetzung von Hofmannsthals Poetik
erscheinen, die das Wesen von Sprache in deren Prägung durch Geschichte (und
damit fern eines vagen, irrationalen Wortmystizismus) sieht. Die
Bildhaftigkeit des Ausdrucks, mit der Ein Brief seine Leser
konfrontiert, wird verständlich als Reaktion auf Bacons These vom
vorbegrifflichen Status der mythisch-metaphorischen Sprache sowie ihrer
philosophisch-literarischen Rezeption. Die Naturerlebnisse des Lord Chandos
erscheinen zum Zeitpunkt der Krise vom wissenschaftlichen Ideal der
Beherrschung denkbar weit entfernt, sie deuten vielmehr in eine Bacons
Machtwillen durchaus entgegengesetzte Richtung. Den antiken
Verwandlungsmythen, die Hofmannsthal an mehreren Stellen des Texts
verarbeitet und die in der Dissertation ausführlich untersucht werden, kommt
in diesem Zusammenhang eine besondere Erschließungskraft zu. Das Verständnis von Dichtung als „Nährboden
der Philosophie“, wie Hofmannsthal beider Verhältnis in einer Aufzeichnung
einmal charakterisiert, deutet jenseits aller Versuche zur Konstruktion einer
geschichtslosen Idealsprache auf einen Impuls, der gegenüber den Termini der
Philosophie die Unmittelbarkeit der Anschauung in der Poesie setzen will, der
ferner gegenüber dem Begriff noch einmal in Stellung bringen soll, was sich
ihm charakteristischerweise durch die Tätigkeit des Ausschließens termfremder
Bestimmungen entzieht: nämlich den Blick auf die Fülle der Phänomene und
deren beständige Metamorphosen. Timo Günther (1967) Z. Z. als Forschungsstipendiat der Alexander
von Humboldt-Stiftung an der State University of Illinois at Urbana-Champaign
(USA). email: tguenthe@uiuc.edu |
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Hugo von Hofmannsthal und die Medien der Moderne |
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Schrift
Druck Schnell-Photographie |
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Wiener Archiv-Phonograph Film Radio |
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Aufbauend auf umfangreichen Vorarbeiten zur Technik-, Funktions- und Kulturgeschichte der Medien liefert diese Arbeit eine erste umfassende Bestandsaufnahme der konkreten Beziehungen Hugo von Hofmannsthals zu den Medien seiner Zeit und unternimmt dabei gleichzeitig den Versuch, die Einflüsse dieser Beziehungen in Hofmannsthals poetologischem Selbstverständnis und in der Konzeption seiner Werke aufzuzeigen. Unter Berücksichtigung des an Literatur-, aber auch Film- und Tonarchiven recherchierten Materials (Handschriften, Erst- und Luxusausgaben, Photographien, Phonogramme, Filme sowie Beiträge aus Film- und Hörfunkzeitschriften der Zeit) wird den sicht- und hörbaren Spuren von Hofmannsthals Medienverständnis nachgegangen. |
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Hofmannsthal wird dabei als Vertreter einer Zeit verstanden, in der Literatur in Konkurrenz zu stark defizitären, analogen Einzelmedien steht, die entweder Bilder oder Töne, beides aber meist in schlechter bis mittelmäßiger Qualität zu liefern vermögen. Als Kind einer literalen Welt, die – abgesehen von der 1839 präsentierten Photographie – von den scheinbar unerschütterlichen (Vor)Schriften der literalen Medientechniken Schrift und Druck geprägt ist, wird der am 1. Februar 1874 in Wien geborene und am 15. Juli 1929 in Rodaun bei Wien verstorbene Hugo von Hofmannsthal zum Zeitzeugen eines medienhistorisch einzigartigen Ausdifferenzierungsprozesses: Über zwei Jahre nach seiner Geburt wird das Telephon erfunden, über drei Jahre später, im Dezember 1877, der Phonograph. 1887 folgt die Erfindung des Grammophons. Ende 1895 werden in Paris erstmals Filme vorgeführt, drei Monate später – im März des Jahres 1896 – präsentiert man die ‚Lebenden Photographien‘ bereits in Wien. 1901 telegraphiert Guglielmo Marconi drahtlos über den Atlantik. 1906 lassen sich bereits gesprochene Worte und Musik drahtlos übertragen. Bis zu den ersten regelmäßigen Hörfunksendungen in Österreich muß man sich allerdings gedulden. Die österreichische Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) in Wien kann ihren Dienst erst im Oktober 1924 aufnehmen. Da aber dämmert auch schon ein neues Zeitalter herauf, an dessen Anfang die Etablierung eines ersten audiovisuellen Mediums, des Tonfilms, steht, der sich zwischen 1926 und 1931 weltweit durchsetzen wird, und gleichzeitig die letzte medienhistorische Entwicklung darstellt, an der Hofmannsthal in seinem letzten Lebensjahr wenn auch nur noch am Rande Anteil nehmen wird. |
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Durchaus interessiert an Darstellungsformen und –möglichkeiten der analogen Medien seiner Zeit erweist sich Hugo von Hofmannsthal aber freilich nicht nur hinsichtlich seiner Lebensdaten als repräsentativer Vertreter einer Epoche der kulturellen, politischen und medialen Umbrüche. Auch wenn es in dem hier betrachteten Zeitraum zwischen ca. 1870 und 1933 keinen eigentlichen Begriff der Medien gibt, so reichen die Wurzeln heutiger Medienproblematiken doch an ganz zentrale Thematiken dieser Zeit heran: Die wissenschaftliche Entdeckung der Differenz von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, wie sie durch den Einsatz des Phonographen etwa im Wiener Phonogrammarchiv zu ersten befremdlichen Ergebnissen im Umgang mit oralen Kulturen führt, wirft Fragestellungen auf, wie sie heute erst im Rahmen der Medienkulturwissenschaft auf breiter Basis abgearbeitet werden; die praxisnahe, tastende Entwicklung erster Einzelmedientheorien zu Film und Hörfunk mit ihren Reflexionen über außersprachliche Kommunikationsformen markiert den Beginn der Medienästhetik; und ein so vereinzelter Ansatz einer umfassenden Medienkritik wie jener von Karl Kraus, dem medienkritischen Antipoden Hofmannsthals, nimmt Positionen vorweg, wie sie im deutschsprachigen Raum erst wieder mit Namen wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und vor allem Günter Anders zu verbinden sind. Dabei figurieren Medien, deren Metaphern auch die kognitiven Modelle der Jahrhundertwende – von der Psychophysik bis zur Psychoanalyse – wesentlich prägen, schon vor 1900 als konstruktivistische Werkzeuge der Welterzeugung und Weltbetrachtung. Der diesbezügliche Ausgangspunkt bei Hofmannsthal ist klarerweise ein betont literales Medienverständnis, wie es die historisierenden Strömungen des späten 19. Jahrhunderts zu einem vorläufigen Höhepunkt gebracht hatten. Die altbewährten Metaphern der Welt als Buch oder Bühne bilden den Ausgangspunkt seines poetologischen Weltbilds, das durch die gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen der österreichisch-ungarischen Monarchie eine nicht unwesentliche Modifizierung erfährt. |
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Wie verstrickt Hofmannsthals literaler Weltentwurf und sein Selbstverständnis als (Alt-)Österreicher in den vielgestaltigen Formen der Gesellschafts- und Medienproblematiken der Zeit sind, wird erst durch die Rekonstruktion der medienhistorischen Voraussetzungen der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer Selbstentwürfe deutlich. Die Probleme der Vielsprachigkeit und des Analphabetismus (letzterer vor allem in den nicht-deutschsprachigen Ländern der Monarchie) haben zur Folge, daß man sich im vielgestaltigen, multinationalen Staatengebilde Österreich-Ungarns im Gegensatz zu den hochliteralisierten und sprachlich geeinten Ländern Deutschlands mit Denkweisen und Mentalitäten abzugeben hat, die nicht ohne weiteres auf einen auf Sprache oder gar Schrift reduzierbaren Begriff zu bringen sind. Kulturelle Differenzen werden, sofern man sie nicht totzuschweigen versucht, durch Inventarisierung, Intensivierung der statistischen Erfassung und andere bürokratische Maßnahmen kaschiert, die im Gegensatz zu rein literalen Ordnungsmustern jedoch einen weit größeren Handlungsspielraum erlauben müssen. Identifikationsstiftende Maskeraden wie die feierlichen Umzüge und Feste zu Ehren Kaiser Franz Josephs I. oder repräsentative Publikationen wie die erstmalige, enzyklopädische Zusammenschau des Habsburgerreiches in dem von Kronprinz Rudolf initiierten, 24 Bände umfassenden Kronprinzenwerk (1882–1902) sollen das Manko fehlender Gemeinsamkeiten kompensieren und – spät, aber doch – das Bild eines Staates nivellieren, der gerade an der damit noch stärker ins Bewußtsein kommenden Unüberbrückbarkeit der nationalen und kulturellen Differenzen zerbricht. Selbst das im Ersten Weltkrieg auf einem bislang ungeahnten Höhepunkt angelangte propagandistische Medienaufgebot, das nicht nur mit Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, sondern auch mit den auf Grammophonplatten fixierten Stimmen des Kaisers und seiner Heerführer oder dem propagandistischen Einsatz des unter der Patronanz des Kriegspressequartiers gestellten Films noch einmal Front gegen den drohenden Zerfall des Vielvölkerstaats zu machen versucht, kann diese Entwicklung nicht mehr aufhalten. Den polymedialen Anforderungen einer modernen, in Grenzen aufgeklärten Massengesellschaft ist die obsolete Selbstinszenierung eines Landes, das – im Sinne Hermann Brochs – nur aus einer rund um das Konstrukt seiner glorreichen Geschichte und die Person Kaiser Franz Josephs I. aufgebauten Fassade besteht, nicht mehr gewachsen. |
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Wie gerade in der kulturpolitisch so turbulenten Zeit der Nachkriegsjahre besonders deutlich zum Ausdruck kommt, lassen sich die unterschiedlichen Fassadenprojekte von Hofmannsthals literaler Bilderbuchkarriere kaum von dieser gesellschaftlichen und medienhistorischen Tradition abstrahieren. Seine vor allem im Frühwerk zum Tragen kommenden poetologisch-ästhetischen Vorstellungen mit einer tendenziellen, nicht immer ganz ernst gemeinten Revolte gegen die Welt der toten Buchstaben und Vorschriften, sein Verhältnis zum Geld als trügerischem Lebensmittel und dennoch wichtigem Motor für seine Existenz als Berufsschriftsteller sowie seine kulturpolitischen Projekte, die sich bereits vor dem Krieg in ersten Ansätzen zeigen, durch seine Tätigkeit als Leiter des Pressebüros des Kriegsfürsorgeamts und seine Freistellung für besondere publizistische Aufgaben intensiviert und unter vollkommen neuen gesellschaftlichen Voraussetzungen nach dem Krieg fortgesetzt werden, stehen damit in engem Zusammenhang. |
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Vor diesem Hintergrund wird Hofmannsthals Auseinandersetzung mit den Medien Schrift (Handschrift), Buchdruck (Typographie/Buchgestaltung), Photographie, Telephon, Phonograph/Grammophon, Film und Hörfunk betrachtet, wobei jeweils ein allgemeiner Einblick in die geschichtliche Entwicklung der behandelten Medientechniken und ihrer Anwendungsformen bis zu Lebzeiten Hofmannsthals gegeben wird. Mit Ausnahme der literalen Medien und des Films, wo Hofmannsthals zahlreiche, zum Teil sogar realisierte Projekte ohnehin in engem Kontext mit seiner eigentlichen literarischen Tätigkeit stehen und somit leicht in die medienspezifische Betrachtung integrierbar sind, werden im Anschluß daran seine konkreten Bezüge zu den einzelnen Medien referiert und zuletzt die Spuren dieser Medien in seinem Gesamtwerk anhand repräsentativer Beispiele nachgewiesen. Hofmannsthals Verhältnis zu den Basistechniken seiner literarischen Tätigkeit, zu Schrift und Druck, wird unter der Perspektive einer medienorientierten Literaturwissenschaft dabei ebenso in die Betrachtung einbezogen wie sein Verhältnis zur Photographie, seine kritische Haltung gegenüber dem Telephon, sein Umgang mit Phonographen und Grammophonen, seine wiederholten Ausflüge ins Filmgeschäft oder sein vorwiegend ökonomisches Verhältnis zum Hörfunk. |
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Das dabei zum Vorschein kommende Gesamtbild von Hofmannsthals theoretischem und praktischem Medienverständnis, bei dem poetologische, mediale, kulturpolitische, aber auch ökonomische Interessen zu berücksichtigen sind, präsentiert ihn als äußerst vielseitigen und interessierten Zeitgenossen, der sich der Möglichkeiten und Vorzüge, aber auch der Gefahren der analogen (Massen-)Medien seiner Zeit durchaus bewußt ist und diesen Herausforderungen auf unterschiedlichste Weise begegnet. Als Dichter, Berufsschriftsteller und Kulturpolitiker, der mediale Anregungen einerseits – etwa durch die Forcierung der analogen Komponenten der Kommunikation (Mimik, Gestik, Gebärde, Stimme, Ton etc.) – durchaus in sein ästhetisches Konzept zu übertragen versteht, andererseits jedoch ganz im Sinne der ‚konservativen Revolution‘ eine betont traditionelle, von nationalen Sprach- und Schrift-Räumen geprägte, kulturpolitische Haltung einnimmt, fungiert Hofmannsthal gerade vor dem Hintergrund der in ihren Auswirkungen noch nicht absehbaren, digitalen Medienrevolution unserer Tage als faszinierender Vorreiter eines differenzierten Medienumgangs. Das Buch ist erschienen. Informationen |
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Heinz Hiebler (1967) Dissertant und Univ.-Lektor am Institut für Germanistik in Graz. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte; seit 1994 Mitarbeiter am FWF-Projekt Literatur und Medien; mehrere akademische Auszeichnungen und Stipendien. Veröffentlichungen u.a. zur Medientechnikgeschichte, zu Problemen der medienorientierten Literaturwissenschaft sowie zum Themenschwerpunkt Medien und literarische Moderne zwischen 1870 und 1933. (Literaturliste siehe: http://emile.kfunigraz.ac.at/publikationen/index.html) e-mail: Heinz.Hiebler@web.de |
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